...die Schule im Herzen der Elbvororte!
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Die Sache mit der Schreibschrift...

Liebe Eltern,

 

pünktlich zum ersten Ferientag wurde viele von Ihnen durch eine Titelseite des Hamburger Abendblattes verunsichert.

Liest man die Seite mit ein wenig Sachkenntnis, so wird die gesamte Debatte so "winzig", dass man sich fragen muss, warum etwas derartiges zum Titelthema wird - und in der Debatte jede Menge Leute zu Wort kommen, die ganz andere Dinge zu ihrer Profession gemacht haben, als die Grundschulpädagogik.

 

Argumentiert wird dabei vielfach - gerade auch in den Interviews und Leserbriefen - mit Aussagen, die schlicht und ergreifend belegbar falsch sind.

So z.B., dass sich unsere Schul-Schreibschrift "über Jahrzehnte entwickelt" hat. Dem mit der merkwürdigen und durchaus amüsanten Geschichte der Schulschreibschrift vertrauten Leser stößt hier gleich auf: Wem nützt es, mit solchen (falschen) Parolen für Wirbel zu sorgen? (s.u. - "Historie")

 

Fakt ist: In Deutschland werden zur Zeit drei ganz unterschiedliche Schreibschriften gelehrt, die Lateinische (LA), die Vereinfachte (VA) und die Schulausgangsschrift (SAS), die in der DDR entwickelt wurde und zur Zeit in Hamburg gültig ist.

Hinzu kommen zahlreiche - auch gerne vom Bildungsbürgertum angelaufene - internationale Schulen (zum Beispiel IB-Schulen), an denen nie gezielt eine Schreibschrift gelehrt wurde, da die aus aller Welt kommenden Lehrer dieses oft gar nicht selber beherrschen.

 

Diese Schriften haben alle ihre Vor- und Nachteile - und lassen sich durchaus wunderbar untereinander lesen.

Aber ein "einheitliches Kulturgut", wie es in den Zeitungen durchklingt, sind sie nie gewesen (siehe auch unten: Historie!).

 

Fakt ist auch: Diese strengen Schreibschriftformen, die jeden Strich vorschreiben sind etwas "typisch Deutsches mit beschränkter Haltbarkeit" - kein Erwachsener in Deutschland schreibt mehr exakt so.

In der Praxis schreiben wir alle eine Mischung aus verbundenen und unverbundenen Buchstaben mit Elementen aus Druck- und Schreibschrift und vielen Individualmerkmalen.

 

Und nur, weil wir alle mal ganz streng und einheitlich eine spezielle Schreibschrift gelernt haben, kann man nicht behaupten, dass die Kinder von damals alle eine gut lesbare Schrift entwickelt hätten - wenn ich da an das Entziffern mancher Elternfragebögen denke...

 

Momentan ist die Regelung aber so, dass die Kinder bis zur 4. Klasse "ganz exakt so schreiben sollen, wie die Vorgabe ist", nämlich "formgerecht".

 

Ganz im Ernst: Sie werden kaum einen Lehrer finden, der so vorgegangen ist - und wenn, hätten Sie sich als Eltern furchtbar (und zu Recht!) darüber aufgeregt, wenn ihr Kind sauber und lesbar schreibt - dann aber jeder von der Norm abweichende Buchstabe oder jede ausgelassene Verbindung als "Fehler" angekreidet worden wäre.

 

Und da kommen wir zur Praxis: NATÜRLICH lernen die Kinder weiter eine gebundene Schrift. Das "neue" Kriterium wird aber das der Vernunft sein:

 

Eine "Schreibschrift" ist dann "gut", wenn Sie flüssig und schnell von der Hand geht - und auch gut lesbar dabei ist.

 

Der Anspruch einer "schönen" Schrift ist etwas sehr persönliches; es hat immer schon - auch in der Großelterngeneration - Menschen mit ausgesprochen "hübscher" Schrift gegeben, "die haben das einfach in sich" - und Menschen mit der sog. "Sauklaue".

 

Machen wir uns nichts vor - und jeder möge einfach mal auf die Handschriften in seinem Umfeld achten: Das war so, ist so - und wird immer so bleiben. Der "scharfe Drill" vergangener Zeiten hat offensichtlich auch nicht erreicht, was in diesem Zeitungsartikel fast mit dem Ursprung der deutschen Kultur gleichgesetzt wird: Das jeder Erwachsener schön und lesbar schreibt.

 

Die neue Verordnung gestattet nun den Lehrern stärker, nach Vernunft zu arbeiten. Selbstverständlich werden wir den Kindern als Einstieg eine "Orientierungsschrift" anbieten - und sehr häufig wird es einfach genau die Schrift bleiben, die zur Zeit geschrieben wird (SAS) - denn Material etc. ist DAFÜR vorhanden.

 

Der ein- oder andere Lehrer hat aber vielleicht auch schon in der Vergangenheit Elemente anderer Schreibschriften einfließen lassen, da ja wir Lehrer hier in Hamburg mehrheitlich wohl nicht in der DDR zur Schule gegangen sind - als Kind also LA oder VA gelernt hatten und hier unsere "persönlichen" Wurzeln haben, die "gnadenlos" durchkommen, wenn wir an der Tafel schreiben, etc..

 

Dies ist nun erlaubt - ihr Lehrer kann nun, ggf. jedem Kind individuell, mit eigener Vernunft und Fachwissen (nicht alle Schulschriften sind damit entstanden, siehe unten!) Buchstaben anbieten.  Die neue gebundene Druckschrift ist nur ein weiteres Angebot und berücksichtigt einfach das, was Sie als Erwachsener auch tun.

 

Nehmen Sie sich doch JETZT einfach mal etwas in die Hand, was SIE in Schreibschrift geschrieben haben. Betrachten Sie mal die Worte - wie oft, haben SIE mitten im Wort eine Lücke gelassen? All diese Lücken waren bis vor Kurzem für Grundschüler offiziell "Fehler". Hatten Sie das gewusst?

 

Aber diese "Lücken" findet nachher jeder Mensch für sich selber, sie entstehen beim "sehr schnellen Schreiben" ganz automatisch - und so schnell schreibt Ihr Kind am Ende der ersten Klasse noch nicht.

 

Daher bieten wir Lehrer Ihrem Kind eine Schreibschrift (gebunden) als "Orientierungsrahmen" an - und das werden wir mit Sicherheit auch weiterhin tun, mit kleinen, individuellen Abweichungen von einer "starren" Norm, die es immer schon gegeben hat - (die es bloß nicht geben durfte...).

 

Wenn Ihr Kind diesen "Orientierungsrahmen" verinnerlicht hat und damit gut zurecht kommt, ist es nun nicht mehr "verboten", wenn Ihr Kind vor der 5. Klasse auch eigene Formen entwickelt.

Vielleicht "schnörkelt" Ihre Tochter gerne das große "G" ein wenig, wie Sie es damals bei der LA gemacht haben? Wenn es flüssig bleibt und lesbar ist - warum sollte man ihr diesen Ausdruck ihrer Individualität verwehren?

Vielleicht schreibt Ihr Sohn aber lieber das klare, aber leicht abgetrennte große "Druck-G" und setzt den ersten Buchstaben danach neu an? Warum auch nicht (fast alle Erwachsenen tun dies an dieser Stelle)...

 

Es macht einfach Sinn, unter den Kriterien der Praktikabilität (flüssig, schnell, unverkrampft) und der Ästhetik (Lesbarkeit und ggf. "Schönheit") den Kindern früher als bisher Individualformen zu erlauben und sie auf dem Weg dahin zu begleiten (!) - und gerade dies ist der Punkt:

Bisher galt "an der Grundschule streng nach Vorgabe" - mit dem Wechsel an die Weiterführende "schreib doch, wie du willst" (bei jedem Lehrer mit anderem Anspruch...).

Ich denke, der Klassenlehrer in der Grundschule hat mehr Zeit und Möglichkeiten, die Kinder beim Finden der eigenen Schrift zu beraten - damit diese eben später lesbar bleibt.

 

Denn - mit einem leichte Augenzwinkern und einem Blick auf die handschriftlichen Einträge der Elterngeneration auf den Schülerdatenbögen - es kann doch dann eigentlich nur besser werden oder?

 

Also: Keine Panik, dieser -formale- Schritt war überfällig, entsprach sowieso schon lange dem, was in der Praxis getan wurde - und dass die Kinder an der Schule jetzt nur noch Druckschrift lernen und wir Lehrer dann sagen "mach doch was du willst" ist reine Polemik...

 

Es grüßt Sie herzlich aus den Ferien,

Stephan Pauli

Schulleiter

 

 

 

"Schreibschrift" - ein deutsches Kulturgut?

Für die, die es interessiert, noch ein wenig "Hintergrundinfo":

 

Die Schreibschrift ist in Deutschland seit jeher ein sehr besonderes Thema.

 

Einheitlich in Europa geerbt haben wir die Buchstaben der Römer, die entstanden sind, als man Schriftzeichen "einhämmerte", "einritzte" (Wachstafeln) oder "einstach" (viele Pergamente etc. waren zur Haltbarkeit/ Geschmeidigkeit beschichtet - bevor die Tinte aufgebracht wurde, musste die Linie mit vielen kleinen Nadelstichen vorgezeichnet werden - und dies blieb lange so, was z.B. die handgeschriebenen Bibeln des Mittelalters noch faszinierender macht - jeder Buchstabe brauchte Minuten!).

 

Die Gänsefeder verursachte erste, sehr individuelle verbundene Schriften.

Wir alle bestaunen heute in Museen prachtvolle Urkunden und Handschriften - stellen aber oft fest, diese überhaupt nicht lesen zu können!

Merkwürdig - ist doch auch meist "Deutsch" - aber haben Sie versucht, mal eine Handschrift von Goethe oder Schiller im Original zu lesen?

 

Mit dem "saugfähigen" Papier und der Stahlfeder stieg das Schreibtempo vor ca. 200 Jahren deutlich an und die industrielle Produktion dieser Schreibgeräte sorgte für Vereinheitlichungen. In England bevorzugte man z.B. eine sehr spitze und scharfe Stahlfeder, diese ermöglichte tolle, filligrane Zierschriften, war aber außerordentlich schwer zu führen und neigte extrem zum "Verhaken" mit dem Papier - und "Totalverlust" des Schriftstückes durch Spritzen.

 

In Deutschland (besser: deutschen Landen) suchte man etwas Praktischeres und "militärisch Exaktes ohne Schnörkel" und kam auf eine Feder mit abgeschrägter, gerader Kante, wie viele von Ihnen Sie heute im "Kaligraphie-Set" haben.

 

Diese führte zu den typischen "zackigen" Schriften im "Deutschen Kurrent", dessen letzten Nachfolger, die "Sütterlin-Schrift" viele von Ihnen noch von den Großeltern kennen.

Diese hängt ganz eng mit den sog. "gotischen Druckschriften" (noch in vielen, alten Bibeln) zusammen - hat in der Schreibschriftvariante aber zu Formen gesorgt, die dann tatsächlich "einzigartig deutsch" waren - und uns heute das Lesen so schwierig machen.

(Googlen Sie mal das kleine "Sütterlin-e" - es hat wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem lateinischen, ist aber der häufigste aller Buchstaben...)

 

So konnte man deutsche Handschriften im europäischen Ausland häufig nicht lesen. Der Strich über dem "u", den viele heute noch machen, stammt übrigens auch aus dieser Zeit - ohne ihn waren "u" und "n" nicht zu unterscheiden und das Wörtchen "nun" z.B. wäre eine einzige Zick-Zack-Linie gewesen.

 

Aber ja - zu dieser Zeit war das damit tatsächlich ein "nationaltypisches Kulturgut".

Mit der Zeit wurden die Schreibgeräte besser und man kam mit der "Kugelspitze" zum besseren Schreibfluss.

Die typischen Elemente des deutschen Kurrent (Abwechslung von dicken und dünnen Strichen durch die besondere Federform) waren damit nicht mehr möglich/ bzw. nötig, und besagter Herr Sütterlin rundete die Schrift ein wenig ab, blieb aber bei den "deutschen" Elementen, wie dem merkwürdigen "e", den Strichen über dem "u" oder dem heute noch in der VA vertretendem "z".

 

Entsprechend als "einzige deutsche Schriften" bejubelt wurden Kurrent, Gotischer-Druck und Sütterlin von den Nazis - bis 1941.

 

Da meinte man nämlich zu entdecken, dass die gotische Druckschrift jüdische Wurzeln hatte - und die Schrift, die zu dieser Zeit alle Erwachsenen und Schulkinder schrieben wurde quasi über Nacht mit dem sog. "Schrifterlass" als "nicht-arisch" verboten - und man kam zurück zur lateinischen Schrift - die ja aber nur aus Druckbuchstaben bestand...

 

Während sich im europäischen Ausland mit der Entwicklung der Schreibgeräte ganz automatisch eine "mehr oder weniger verbundene Form" entwickelt hatte, die nie einer "Verordnung" bedurfte - hatte man durch das Hin- und Her in Deutschland nun ein riesiges Problem. Es musste ganz schnell etwas Neues her.

Die so von wenigen Lehrern im Auftrag über Nacht erdachte "Deutsche Normalschrift" war - rein schreibtechnisch gesehen (flüssig zu schreiben, gut zu lesen) - eine beachtliche Leistung für die kurze Entstehungszeit, aber nach dem Krieg als tatsächliches Nazi-Produkt natürlich nicht zu halten.

 

Die Schulen griffen daher auf das zurück, was viele Lehrer noch kannten, und die Sütterlin-Schrift wurde erneut gelehrt. Der Haken nun: Die Besatzungsmächte konnten diese Schrift nicht lesen, wollten es aber gerne...

 

Ein Gremium, welches stärker mit Politikern als mit Pädagogen besetzt war, der "Iserlohner Schreibkreis" wurde daher beauftragt, eine Schreibschrift zu entwickeln, die sich an der Lateinischen Schrift orientiert. Dieses Gremium nutzte die "Deutsche Normalschrift" und fügte ihr so viele Schnörkel hinzu, dass die "Nazi-Wurzeln" nicht mehr zu sehen waren - auch eine Lösung.

 

Es entstand die Lateinische Ausgangsschrift, die die meisten von uns in der Schulzeit gelernt haben werden. 1953 wurde diese in der gesamten Bundesrepublik Pflicht - nur in Bayern ließ man es bis 1966 offen, Sütterlin oder LA zu schreiben - oder (man höre und staune, ausgerechnet DORT!), das zu tun, was nun die Stadt Hamburg tut: Man überließ es den Lehrern, eine vernünftige Form zu finden...

 

Relativ rasch zeigte sich aber, dass nicht unbedingt etwas Praktisches entsteht, wenn fachfremde Personen mit Hilfe von "Schnörkeln" eine Schrift verwandeln in etwas, was kleine Kinder erlernen sollen.

 

Die LA erwies sich messbar als völlig unpraktisch. Unzählige sog. "Drehrichtungswechsel" hemmen massiv den Schreibfluss - und an den Schulen wurde unverhältnismäßig viel Zeit ins "Schönschreiben" investiert - wichtige Zeit, die mit den in Folge der 69er "Revolutionen" massiv erweiterten Lehrplänen, immer schwerer zu vereinbaren war.

 

Auf beiden Seiten der Mauer entstand (in der DDR etwas früher, man "sparte" hier den Umweg über die LA) dann eine "wissenschaftliche" Schulschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA) im Westen, und die Schulausgangsschrift (SAS) im Osten, die nach der Wende auch von vielen westlichen Bundesländern  (z.B. Hamburg) übernommen wurde, da sie optisch einen "Kompromiss" darstellt und nur auf Schreibfluss konzentrierte Besonderheiten, wie das kleine "z" der VA auslässt.

 

Mit diesem Hintergrundwissen lese doch bitte jeder den Artikel des Abendblattes und vor allem die vielen Leserbriefe dazu erneut - und mache sich sein eigenes Bild, "wie stark der Untergang der deutschen Kultur" mit einer Veränderung des "Kulturgutes" Schreibschrift zu befürchten ist.

 

 

Quelle der genannten Daten:

"Wie Kinder Ihre Schrift entwickeln - die Entstehung der Handschriften"

Stephan Pauli, 1997 - 1. Staatsarbeit der Universität Koblenz-Landau

Beurteilt durch: Prof. Dr. Roland Blecher, beraten durch Prof. Dr. Achill Wenzel.

 

...und da man wissenschaftlich korrekt nicht aus sich selber zitiert, kann das gesamte Literaturverzeichnis ZU dieser Arbeit gerne im Sekretariat eingesehen werden

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